Bildungssprachen der Geschichte
Eine Bildungssprache ist jene Sprache, in welcher Bildung vermittelt wird bzw. wurde. Sie wird immer dann gebraucht, wenn anspruchsvolle Informationen in Situationen vermittelt werden, in welcher man nicht auf den Kontext in der Muttersprache verweisen kann. Der deutsche Philosoph Jürgen Habermas definierte Bildungssprache als sprachliches Register, in dem man sich mit den Mitteln der Schulbildung ein grundlegendes Orientierungswissen verschaffen kann.
Inhalt
Geschichte
In der Antike waren griechisch und lateinisch zwei Bildungssprachen, welche sich aufgrund der kulturellen Dominanz des antiken Griechenland und des Römischen Reiches durchsetzen konnten. Im Mittelalter blieb griechisch im Byzantinischen Reich die Bildungssprache, während das Klassische Latein im ehemaligen Weströmischen Reich durch Vulgärlatein ersetzt wurde. Seit der Islamischen Expansion in der Spätantike wurde Arabisch zur Bildungssprache in Persien, im Nahen Osten und Nordafrika. In der Neuzeit wurde, aufgrund kultureller Dominanz, auch die französische Sprache zur Bildungssprache erhoben.
Altertum und Antike
Griechisch
In Europa galt – während des Altertums und der Antike – die griechische Sprache als Bildungssprache. Grund war, dass sowohl die europäische Literatur, als auch die Wissenschaft und Philosophie vom Griechischen geprägt wurden. Denn das antike Griechenland war zu Beginn der Frühgeschichte, also zum Zeitpunkt als erste Schriftzeugnisse auftauchten, die vorherrschende Macht im Mittelmeerraum.
Das Urgriechisch entstand etwa 2000 v.Chr., wurde dann vom Mykenisch-Griechischen verdrängt (etwa 1400 v.Chr.). Die Griechen übernahmen etwa 800 v.Chr. das phönizische Schriftsystem mit Buchstaben, auf denen die heutigen europäischen Sprachen basieren. Durch Alexander den Großen wurde die griechische Kultur im 4. Jahrhundert v.Chr. in den Orient getragen, wodurch Griechisch zur Weltsprache aufstieg. Diese Periode, als griechisch den Orient prägte, wird als Hellenismus bezeichnet. Im Hellenismus veränderte sich die altgriechische Sprache – wurde durch fremde Einflüsse mitgeprägt. Diese neue Sprachstufe wird als Koine bezeichnet.
Lateinisch
Als die Römer die hellenistischen Reiche im 1. Jahrhundert v. Chr. eroberten, übernahmen sie die Sprache der Griechen. Koine blieb Weltsprache, Latein blieb Amtssprache und das klassische Griechische (Altgriechisch) wurde zur Bildungssprache neben dem klassischen Latein.
Die lateinische Sprache der Römer basierte ebenfalls auf dem Schriftsystem der Phönizier. Das klassische Latein veränderte sich allerdings durch die Eroberungen. Und so bildete sich eine Sprachstufe heraus, welche als Vulgärlatein bezeichnet wird. Als das Christentum zur Staatsreligion im Römischen Reich erklärt wurde, war die Heilige Schrift (Bibel) in Koine-Griechisch verfasst wurden. Bis zur Reichsteilung blieb Koine die gängige Verkehrssprache und war Weltsprache.
Teilung der Bildungssprachen
Durch die Reichsteilung im Jahr 395 n.Chr. wurde das Römische Reich in ein Westreich (Weströmische Reich) und ein Ostreich (Oströmische Reich, Byzantinische Reich) geteilt. Im Oströmischen Reich blieb das klassische Griechische als Literatursprache bestehen. Als im Jahr 630 n.Chr. die Balkanhalbinsel an die Araber verloren ging, verlor Ostrom auch seine lateinisch sprechende Minderheit. Fortan wurde Latein gänzlich aufgegeben und das Griechische überdauerte.
Das Weströmische Reich ging 476 n.Chr. unter, wodurch die Antike endete und das Mittelalter begann.
Mittelalter
Im Mittelalter blieb die griechische Sprache im Byzantinischen Reich die Verkehrs-, Mutter- und Bildungssprache. Das Weströmische Reich ging 476 n.Chr. unter und auf dem Gebiet entstanden die sogenannten Barbarenreiche (Ostgotenreich, Langobardenreich, Odoakers Reich). In diesen Reichen wurde verschiedene germanische Sprachen gesprochen. Das Latein der Römer vermischte sich mit Gotisch, Langobardisch und Fränkisch.
Die Gründung des Frankenreichs im 6. Jahrhundert sollte das Römische Reich und somit die römische Einheit wiederherstellen. Aber auch im Frankenreich blieben die Westgermanischen Sprachen (Fränkisch) erhalten.
Erst mit der Teilung von Verdun (843) entstanden drei neue Großreiche mit dem Ostfrankenreich, Westfrankenreich und Mittelfranken. Im Westfrankenreich entwickelte sich die französische Sprache aus dem Fränkischen. Und auf dem Gebiet des Ostfrankenreichs entstand 962 das Heilige Römische Reich, in welchem neben dem Deutschen (ebenfalls indogermanisch) auch Latein als Amtssprache bestehen blieb. Dadurch überdauerte Latein als Bildungssprache im Mittelalter.
Im Zuge der Islamischen Expansion (630-er Jahre) eroberten die Araber den Mittelmeerraum im heutigen Spanien und in Nordafrika. Dort etablierten sie Arabisch als Verkehrs- und Bildungssprache.
Renaissance
Die Renaissance wird als Wiedergeburt der Antike verstanden. Die Gelehrten dieser Zeit versuchten das Mittelalter zu überwinden und ihre Kultur in die Neuzeit zu überführen. Deshalb besann man sich auf antike Vorbilder zurück, übernahm deren Sprache und Ansichten. So wurde das klassische Latein und altgriechisch erneut zur Bildungssprache erhoben.
Als das Osmanische Reich im Jahr 1453 die Stadt Konstantinopel eroberte, brach das Byzantinische Reich zusammen. Die griechischen Gelehrten Ostroms flohen ins Heilige Römische Reich, tauschten sich dort mit Gelehrten in griechischer und lateinischer Sprache aus. Beide Sprachen erfuhren eine neue Blütezeit für Naturwissenschaft, Philosophie und Kunst.
Neuzeit
Durch die Renaissance erlebten Latein und Griechisch in Europa eine neue Blütezeit und blieben abendländische Bildungssprachen bis ins 17. und 18. Jahrhundert. Daneben entwickelte sich Französisch zur Bildungssprache. Denn ab etwa 1700 begann eine geistige und soziale Reformbewegung in Europa, welche als Aufklärung bezeichnet wird.
Pioniere der Aufklärung waren die französischen Philosophen Denis Diderot und D’Alembert, welche sich für Bürgerrechte, Menschenrechte, Bildung für jedermann, Emanzipation und Gemeinwohl aussprachen. Und die Aufklärer forderten, dass der Staat dafür aufkommen müsse.
Die Aufklärung erfasste nicht nur Europa, sondern auch Nordamerika. Fortan schaute die Welt nach Frankreich, übernahm französische Begriffe und Redewendungen. Durch diese kulturelle Dominanz schaffte es die französische Sprache im 17. und 18. Jahrhundert als Bildungssprache etabliert zu werden.
In dieser Zeit entstand bspw. auch der Renaissance-Begriff (französisch für Wiedergeburt), wie er heute verwendet wird. Eingeführt wurde in den 1850-er Jahren durch den französischen Historiker Jules Michelet und ins Deutsche gebracht wurde er vom Kunsthistoriker Jacob Burckhardt ab 1860.