Kulturelle Evolution
Die kulturelle Evolution beschreibt die Entwicklung des sozialen und kulturellen Wandels in einer Gesellschaft oder der gesamten Menschheit über die gesamte Menschheitsgeschichte hinweg. Synonyme sind: Soziokulturelle Evolution (frühere Bezeichnung) und kulturelle Revolution. Letzteres soll den Wandel des Menschen vom Naturmensch zum Kulturmensch unter biologisch-evolutionären Gesichtspunkten betrachten.
In der Geschichtswissenschaft wird Evolution auch als unumkehrbare und schrittweise Veränderung verstanden. Folgt man diesem Gedanken, ist Evolution das Gegenstück zur Revolution, da letztere nicht allmählich (schrittweise) erfolgt – sondern eine abrupte Veränderung bewirkt.
Inhalt
Was bedeutet kulturelle Evolution
Evolution (lateinisch: evolvere) bedeutet wörtlich übersetzt: entwickeln oder auswickeln. In der Biologie versteht man darunter, wie sich die Arten entwickelt haben.
Jene Artentwicklung geschieht über Gene, welche eine Erbinformation enthalten. Durch Fortpflanzung wird diese Erbinformation an zukünftige Generationen weitergegeben. Aber die Gene verändern sich durch bestimmte Faktoren, welche als Evolutionsfaktoren bezeichnet werden. Die Biologie kennt fünf Evolutionsfaktoren: Mutation, Isolation, Gendrift, Rekombination und Selektion.
Kernaussage ist, ohne Genänderung kann sich keine Art entwickeln und es können somit auch keine neuen Arten entstehen. Aber die Gene sind lediglich Träger von Erbinformationen. Demnach geht es in der biologischen Evolution eigentlich nicht um die Veränderung von Genen, sondern um die Veränderung von Informationen.
Und die kulturelle Evolution meint genau das Gleiche: Informationen ändern sich. Werden in der Biologie die Information über Gene transportiert, sind die Transportmedien der kulturellen Evolution eher sprachlich (also über Sprache von Mensch zu Mensch).
Wir nehmen Informationen auf, geben diese weiter und letztlich vollzieht sich ein gesellschaftlicher Wandel. Dies geschieht allmählich, also schrittweise, wie oben beschrieben.
Wann begann die kulturelle Evolution
Die kulturelle Evolution begann vor 2,5 Mio. Jahren in Afrika, als die ersten Urmenschen den Chopper entwickelten. Dieses Steinwerkzeug war das erste Werkzeug, welches die Menschheit entwickelte – um damit seine Umwelt zu gestalten.
Zwar kann man auch Schimpansen dabei beobachten, wie sie mit Steinen ihre Nahrung zerkleinern – aber neu war, dass der Mensch diese Werkzeuge selbst herstellte. Demnach war der Chopper ein Stein, welcher durch Menschenhand beschlagen wurde – um ihn anzuspitzen. Mit der Spitze wurden dann Knochen zerkleinert, um das Knochenmark herauszusaugen.
Entwickelt sich der Mensch biologisch oder kulturell weiter
Der Mensch ist an die Biologie gebunden. Demnach kann kein Mensch entscheiden, ob er mit 3 Armen geboren werden will oder nicht. Der menschliche Bauplan ist biologisch festgeschrieben.
Sämtliche Änderungen am biologischen Bauplan vollziehen sich über Millionen Jahre hinweg. So sind die ersten Vormenschen vor etwa 4 Mio. in Afrika entstanden. Und sehr lange Zeit gab es keine Änderung an diesem Bauplan. Etwa 1,5 Mio. Jahre später kamen die ersten Urmenschen auf. Und diese unterschieden sich kaum von den Vormenschen.
Einen echten Quantensprung vollzogen erst die Frühmenschen. Denn Homo erectus, Neandertaler und Co. haben wohlmöglich das nötige Werkzeug erfunden: die Sprache. Ob bereits die Frühmenschen sprechen konnten, wird immer noch diskutiert. Fakt ist Homo sapiens konnte vor etwa 30.000 Jahren sprechen.
Und jener steinzeitliche Spracherwerb machte es möglich, dass sich der Mensch viel schneller verändern konnte. Fortan war der Mensch nur noch bedingt an die Restriktionen der Biologie gebunden. Und so kann der Mensch heute fliegen, obwohl ihm die Natur keine Flügel gegeben hat. Der Mensch jagt jedes andere Lebewesen auf dem Planeten, obwohl die meisten Tiere viel stärker sind.
Warum?
Der Grund für sämtliche Vorsprünge des Menschen gegenüber anderen Tieren ist, dass wir Informationen über Sprache weitergeben. Diese Informationsteilung macht Arbeitsteilung möglich. Letztlich konnten sich dadurch sämtliche technischen Errungenschaften entwickeln, welche wir heute haben.
Diese Informationsverbreitung geschieht schnell. Und demnach werden kulturelle Informationen von Mensch zu Mensch viel schneller weitergegeben als die biologischen Informationen, welche die Biologie bestimmt hat.
Und da die Menschheit immer schneller wächst, werden auch immer schneller Informationen ausgetauscht – was die kulturelle Evolution zusätzlich befeuert.
Welche Bedeutung hatte die Sprache bei der kulturellen Evolution
Vor etwa 200.000 Jahren veränderte sich ein ganz bestimmtes Protein beim Homo sapiens. Dieses Protein wird als Forkhead-Box-Protein P2 (FOXP2) bezeichnet.
Heute ist bekannt, dass FOXP2 eine entscheidende Rolle beim Spracherwerb spielt. Wie so oft in der Evolution geschah die Genänderung durch Mutation und somit zufällig. Aber diese Genmutation bewirkte, dass sich die Schaltkreise im Gehirn neu verkabelten und der Mensch zu neuen geistigen Fähigkeiten imstande war.
In den Medien wurde dieses Protein als Sprachgen bezeichnet. Viele Wirbeltiere besitzen das Protein, aber die menschliche Variante unterscheidet sich von den anderen. Durch diese Genänderung war der Mensch imstande eine differenzierte Sprache zu entwickeln.
Sprache als Informationsträger
Nun muss man festhalten, dass auch Tiere untereinander kommunizieren können. Ein Erdmännchen kann seine Artgenossen warnen, sobald ein Greifvogel über ihm kreist. Und auch das ist nicht ungewöhnlich. Denn eigentlich kann jedes Tier kommunizieren.
Doch die menschliche Sprache unterscheidet sich enorm von der tierischen. Denn wir können nicht nur Laute abgeben, sondern diese Laute kombinieren. Wir können Vokale mit Konsonanten kombinieren und dadurch eine Unendlichkeit an Worten erzeugen. Diese Wörter können wir mit anderen Worten kombinieren und dadurch eine Unendlichkeit an Sätzen erzeugen. Und das kann ein wiederum Erdmännchen nicht.
Sprache wurde zum besten Informationsträger. Aber um Sprache zu beherrschen, musste sich die Menschheit auf ein Vokabular einigen. Demnach müssen Sprecher und Zuhörer die gleichen Wörter und ihre Bedeutung kennen. Und dies wiederum setzt voraus, dass beide eine gewisse Speicherkapazität im Gehirn aufbringen müssen.
Mit der Sprache vollzog der Mensch demnach eine kognitive Revolution. Dies führte zum Ausbau von bereits vorhandenen Fähigkeiten, wie dem Erkennen von Wörtern, dem Abspeichern von Wörtern und dem Reproduzieren von Wörtern.
Nun fragt man sich, was der Mensch mit der Sprache so anstellte. Dazu existieren verschiedene Theorien. Die erste Theorie besagt, dass er direkt mit seinen Mitmenschen über etwas Konkretes sprach.
Demzufolge warnte er seinen Freund vor einem Bären, welcher am Fluss lauert. Dies entspricht ungefähr dem, was das Erdmännchen auch macht. Aber der Mensch war in der Lage, seinem Freund zu erklären, dass wohlmöglich ein Bär am Fluss lauert – während beide noch am Feuer saßen.
Demnach kann er den Ort beschreiben, aber auch den Weg, wie man zum Fluss kommt. Dann kann er sich mit seinem Freund bereden, was sie gemeinsam gegen den Bären tun wollen. All dies gibt die menschliche Sprache her und übersteigt die Fähigkeiten des Erdmännchens.
Sprache als soziales Bindemittel
Die zweite Theorie besagt, dass Sprache vornehmlich dazu eingesetzt wurde, um sich über die eigenen Artgenossen auszutauschen. Demnach ist Sprache weiterhin ein Informationsmedium, jedoch geht es nun nicht mehr um den Bär am Fluss – sondern um den Freund am Feuer.
Der Mensch ist rein biologisch ein Herdentier. Ohne die Herde wäre er schutzlos gegenüber Fressfeinden und unfähig gegenüber Jagdbeute. Wie bereits oben beschrieben, hat sich der Mensch rein biologisch nicht geändert. Demnach bleibt er ein sehr schwaches Tier in Afrikas Tierwelt. Und da ein Mensch nicht besonders schnell ist, kann er auch ohne menschliche Mithilfe keine Gazelle fangen.
Sollte der Mensch sich also über andere Menschen unterhalten haben, ging es um Klatsch und Tratsch. Und auch das ist logisch, denn damit verdienen heute noch diverse Formate richtig viel Geld. Aber der Klatsch hatte auch eine kulturevolutionäre Bedeutung. Denn man erfährt über beim Klatsch etwas über die Gruppe. So konnten die Menschen erfahren, wer mit wem befreundet ist, wer ein guter Jäger ist und wer vielleicht klaut.
Beim Klatsch geht es also darum herauszufinden, wie die Zweier-, Dreier- und Viererbeziehungen der Mitmenschen funktionieren. In der Herde musste der Einzelne wissen, wer Vater von seinem Nachbarn ist, wer sich als Jäger ausgezeichnet hat und wem man vertrauen konnte.
Erfundenes
Wenn man die Erdmännchen so betrachtet, kann man noch ein deutlichen Unterschied zu unserer Sprache ausmachen. Ein Erdmännchen wird nicht lügen. Denn wenn es seinen Artgenossen zuruft: „Vorsicht Adler!“. Dann müssen sich diese darauf verlassen können – dass die Aussage stimmt. Ein lügendes Erdmännchen würde die ganze Gruppe gefährden und würde somit ausgeschlossen werden.
Beim Menschen ist das anders. Obwohl der Mensch ein Herdentier ist und Lügen ebenfalls das Wohlergehen der Gruppe gefährden könnte, logen bereits die ersten Menschen. Denn sobald am Feuer über den Bär am Fluss erzählt wurde, ist dies bereits eine Lüge. Denn niemand weiß, ob der Bär noch am Fluss wartet oder nicht. Dennoch zogen solche Konstrukte in die Sprachwelt der Menschheit ein.
Dies funktionierte deshalb, weil solche Erzählungen immer Erfahrungen transportieren, von denen die ganze Gruppe profitieren konnte. Aber es wurden nicht nur über tatsächliche Erfahrungen erzählt, sondern auch über Erfahrungen die niemals gemacht worden bzw. noch anstanden.
Wenn ein Jäger erzählte, dass die Rentiere wohlmöglich in Richtung des Berges ziehen würden – war dies eine Erzählung über eine mögliche Zukunft. Auch das gibt menschliche Sprache her, wodurch sie sich von tierischer Kommunikation erheblich abgrenzt.
Wenn der Jäger dann seine Gefährten dazu überreden wollte, ebenfalls zum Berg zu ziehen – mussten alle Beteiligten in Wahrscheinlichkeiten denken können. Über etwas Zukünftiges zu erzählen, setzt demnach voraus – dass Sprecher und Zuhörer zwischen Gegenwart, Vergangenheit und Zukunft unterscheiden können.
Unternimmt man etwas, um ein zukünftiges Ereignis nach seinen Vorstellungen gestalten zu können, müssen die Sprechenden in Ursache-Wirkung-Zusammenhängen denken können. Auch dies kann nur die menschliche Sprache.
Mythen und Geschichten
Auf Grundlage der fiktiven Sprache entstanden im menschlichen Geist sämtliche Kulturleistungen, welche in der realen (anfassbaren) Welt nicht existieren. Dazu gehören Gott, der Staat, das Rechtssystem, das Wirtschaftssystem, die Demokratie und die Macht des Geldes. Und dies sind nur einige Beispiele.
Letztlich kann der Mensch über alles Erdenkliche reden, selbst über Dinge – welche physisch nicht existieren. Die Menschheit muss nur an die Existenz von oben genannten Konzepten glauben, danach handeln – damit diese wahr werden. Die Grundlage für diese Leistungen bietet die menschliche Sprache.
Arbeitsteilung und Fortschritt
Zwei Menschen, welche sich vorher noch nie gesehen haben, können miteinander arbeiten. Wieso? Weil sie sich auf die gleichen Mythen und Geschichten einigen können. Und diese Einigung geschieht ebenfalls über Sprache.
So treffen sich zwei Politiker aus unterschiedlichen Kulturkreisen und einigen sich darauf, dass die Demokratie die beste Regierungsform ist. Und schon kann man zusammenarbeiten.
Zwei Wirtschaftsbosse einigen sich darauf, dass irgendwann einmal der Mars besiedelt werden soll. Prompt kann man zusammenarbeiten. Und letztlich konnten sich auch die Kreuzritter immer Mittelalter darauf einigen, dass es gut wäre – ins Heilige Land zu reisen, um es von den Muslimen zu befreien.
Selbst die einfachen Menschen können sich aufgrund gemeinsamer Mythen einigen. Denn der größte Mythos ist Geld, dessen Wert auch nur im Kopf existiert und den tatsächlichen Wert einer Papier-Banknote übersteigt.
Aber diese Einigung auf gemeinsame Mythen und Narrative, ermöglichte eine zwischenmenschliche Arbeitsteilung. Und nur deshalb war es möglich, dass der Mensch diverse Innovationen erfinden, Erfahrungen weitergeben konnte und damit die kulturelle Evolution immer weiter vorantreiben konnte.
Welche Bedeutung hat die kulturelle Evolution für die Zukunft
Der Bauplan eines Säugetiers ist im Grunde genommen immer gleich: Schädel, Wirbelsäule, vier Gliedmaßen und innere Organe. Der nächste Verwandte des Menschen ist der Schimpanse. Vor etwa 7 bis 9 Mio. Jahren trennte sich die Mensch-Schimpanse-Linie und zwei unterschiedliche Arten bzw. Gattungen entstanden. Dennoch teilen sich Menschen und Schimpansen etwa 98 – 99 % ihrer Gene.
Da die biologischen Merkmale fast identisch und demnach vernachlässigbar sind, unterscheiden wir uns durch die Kultur. Demnach nimmt die Bedeutung der Biologie im Schimpansen-Mensch-Vergleich deutlich ab, während der Kulturvergleich umso stärker zunimmt.
Man kann sagen: der Mensch machte deutlich mehr kulturelle Entwicklungsschritte als biologische.
Und genau hier liegen die Möglichkeiten aber auch die Probleme. Denn der Mensch kann nicht aus seiner Haut. Wir sind rein biologisch gesehen, lediglich Affen am hinteren Ende der Nahrungskette. Jeder Schimpanse ist mitunter doppelt so stark wie ein Mensch. Aber dennoch dominieren wir diese Welt aufgrund der kulturellen Revolution, welche wir hinter uns gebracht haben.
Und diese kulturelle Dominanz steht im Widerspruch zur Biologie. Denn Löwen, Haie oder Krokodile haben sich ihren Spitzenplatz in der Nahrungskette über Jahrmillionen evolutionär verdient bzw. zugewiesen bekommen. Laut Selektionstheorie der Biologie mussten sie Konkurrenten ausschalten, um diese ökologische Nische (Spitzenprädator) zu besetzen.
Demnach bringen Spitzenprädatoren genau diese Instinkte von Natur aus mit, welche für diesen Spitzenplatz notwendig sind. Denn auch diese Instinkte sind evolutionär entstanden und bei jedem Individuum angeboren.
Der Mensch ist rein biologisch und rein instinktiv immer noch der Affe, welcher sich auf Bäumen vor Raubtieren verstecken muss. Doch die kulturelle Revolution bescherte uns die Feuerherrschaft, den Flug zum Mond und Atombomben. Und wohlmöglich besitzt der Mensch nicht die nötigen Instinkte, um in der absoluten Spitzenposition im Tierreich dauerhaft bestehen zu können.
Man könnte daher annehmen, dass jeder Löwe sorgsamer mit Atombomben umgehen würde als die Menschheit.