Geschichtswissenschaft: Warum ist Geschichte eine Wissenschaft
Die Geschichtswissenschaft ist eine Geisteswissenschaft, welche die Menschheitsgeschichte und die Geschichte anderer Themenfelder (z.B. Mathematikgeschichte, Kulturgeschichte, Militärgeschichte) erforscht, untersucht und mit Hilfe wissenschaftlicher Methoden rekonstruiert.
Inhalt
- 1 Was ist Geschichtswissenschaft
- 2 Was ist der Unterschied zwischen Geschichte und Geschichtswissenschaft
- 3 Was macht ein Geschichtswissenschaftler
- 4 Was ist eine Quelle in der Geschichtswissenschaft
- 5 Was ist das Besondere an der Geschichtswissenschaft
- 6 Wie arbeitet ein Geschichtswissenschaftler
- 7 Welche Methoden gibt es in der Geschichtswissenschaft
- 8 Welche Hilfswissenschaften fließen in die Geschichtswissenschaft ein
- 9 Literatur
Was ist Geschichtswissenschaft
Die Geschichtswissenschaft gehört zu den Geisteswissenschaften, in deren Mittelpunkt der Mensch als kulturschaffendes Individuum steht. Mittels verschiedener Methoden sollen Teilausschnitte aus der Vergangenheit rekonstruiert werden. Durch das Zusammensetzen verschiedener Teilausschnitte soll eine plausible Vergangenheit der Menschheitsgeschichte entstehen.
Was ist der Unterschied zwischen Geschichte und Geschichtswissenschaft
Geschichte als Unterrichtsfach erklärt die Vergangenheit. Auch ein Geschichtsbuch oder eine Dokumentation über historische Ereignisse schildert die Vergangenheit. Demnach ist Geschichte eine Erklär- bzw. Darstellungsform der Vergangenheit.
Die Geschichtswissenschaft liefert stattdessen die historischen Fakten, um die Vergangenheit rekonstruierbar zu machen. Um Erkenntnisse aus der Vergangenheit generieren zu können, müssen Geschichtswissenschaftler diverse Geschichtsquellen analysieren, interpretieren und zeitlich einordnen.
Was macht ein Geschichtswissenschaftler
Ein Geschichtswissenschaftler will die Vergangenheit nicht erklären, sondern Erkenntnisse aus der Vergangenheit mehren. Demnach steht der Erkenntnisgewinn im Vordergrund und nicht die Verbreitung bereits anerkannter Fakten.
Was ist eine Quelle in der Geschichtswissenschaft
Eine Quelle ist ein Beweis für die Vergangenheit und zugleich ein Indiz für den Geschichtswissenschaftler, um die Vergangenheit rekonstruierbar zu machen.
Historischen Quellen können Schriftzeugnisse (Analen, Chroniken, Urkunden) sein, aber auch Vasen oder archäologisch freigelegte Häuser. Auch die Überreste eines verstorbenen Menschen können als historische Quelle herangezogen werden.
Die Quellen werden, im Rahmen der Geschichtswissenschaft, einer Quellenanalyse und anschließender Quelleninterpretation unterzogen. Dabei kann eine Quelle die bestehenden Erkenntnisse der rekonstruierten Vergangenheit erweitern, untermauern oder sogar ändern. Wichtig ist, dass die Quellen – im Rahmen der Quellenanalyse – als echt erachtet werden kann und keine Geschichtsfälschung ist.
Was ist das Besondere an der Geschichtswissenschaft
Untersuchungsobjekt der Geschichtswissenschaft ist die Vergangenheit. Aber anders als in allen anderen Wissenschaften kann die Vergangenheit lediglich rekonstruiert und nicht untersucht werden. Demnach können abschließende Beweise für die rekonstruierte Vergangenheit niemals vollständig erbracht werden. Dadurch entsteht ein unendliches Bearbeitungsfeld für den historischen Stoff, da jede neue Quelle, welche irgendwann auftaucht, die Vergangenheit neu rekonstruiert und neue Sichtweisen entstehen lässt.
Wie arbeitet ein Geschichtswissenschaftler
Für die Analyse von schriftlichen Quellen gilt der Grundsatz der historisch-kritischen Methode. Dabei muss jeder Text wissenschaftlich genau interpretiert werden. Jegliche Annahmen über den Inhalt und sämtliche Argumentationsschritte müssen nachvollziehbar gemacht werden. Der Inhalt der Quelle muss sich in das historische Weltbild der damaligen Zeit einordnen lassen und darf nicht in Widerspruch zu bereits anerkannten Quellen stehen. Ansonsten würde dies zu einem Paradigmenwechsel führen, welcher in der Geschichtswissenschaft zwar gewollt ist, aber einen echten Beweis braucht.
Welche Methoden gibt es in der Geschichtswissenschaft
Man unterscheidet in der Geschichtswissenschaft zwischen naturwissenschaftlich fundierten Methoden und geisteswissenschaftlichen Methoden aus der Erkenntnistheorie.
historisch-kritische Methode
Die historisch-kritische Methode wird bei Textdokumenten und Schriftzeugnissen angewandt, welche eine historische Quelle sein könnten. Dabei muss der Inhalt des Textdokuments wissenschaftlich genau analysiert und interpretiert werden.
Im Rahmen der Quellenkritik wird das Dokument auf Echtheit, Aussageabsichten und Datierung untersucht. Es wird untersucht, welchen Wortlaut der Texter verwendete, ob einzelne Begriffe einer Änderung in ihre Bedeutung unterlagen (Begriffsgeschichte) und ob der Autor ein gewisses Ziel mit dem Schaffen des Dokumentes verfolgte.
Gleichzeitig wird geprüft, ob die Quelle inhaltlich zu bereits bestehenden Schriftquellen passt, das Wissen erweitert oder untermauert. Erst nachdem die Quelle analysiert wurde, erfolgt die Interpretation.
Radiokarbonmethode
Die C-14 Methode oder Radiokarbonmethode untersucht, wie alt ein historischer Fund sein könnte. Dieses Verfahren lässt sich auf organische Substanzen anwenden, welche aus Kohlenstoff bestehen. Denn jedes Lebewesen bindet einen gewissen Teil an radioaktiven C-14-Atomen, welche nach dem Tod zerfallen. Anhand des Fortschritts beim Zerfall können Geschichtswissenschaftler feststellen, vor wie vielen Jahren das Lebewesen lebte bzw. starb.
DNA-Analysen
Bei Grabfunden lassen sich DNA-Analysen anbringen, bei denen die Gene des Verstorbenen untersucht werden. Dadurch lässt sich ein genetisches Profil der verstorbenen Person erstellen.
Anhand der Zusammensetzung des Genoms lassen sich Rückschlüsse ziehen, wo die Person herkam, welcher Gentransfer (Fortpflanzung) in dieser oder vorherigen Generationen stattfand. So lassen sich Migrationsbewegungen festmachen, wie bspw. die Völkerwanderung oder Jagdrouten während der Eiszeit.
Periodisierung
Die Menschheitsgeschichte lässt sich in verschiedene Geschichtsepochen (z.B. Urgeschichte, Altertum, Neuzeit) gliedern. Jeder Epochenwechsel wurde nachträglich von der Forschung eingeführt und richtet sich meist an einem bestimmten Ereignis aus. Dieses Ereignis war so bedeutend, dass es das Leben der gesamten Menschheit nachträglich prägte – weshalb der Epochenwechsel als sinnvoll erscheint.
In der Geschichtswissenschaft sind die einzelnen Epochen der Menschheitsgeschichte bereits benannt und weitestgehend anerkannt. Dennoch müssen neu gefundene und analysierte Quellen den entsprechenden Epochen zugeordnet werden. Der Erkenntnisgewinn aus den Quellen bestätigt dann die bereits feststehende Periodisierung oder zweifelt diese in Teilen oder ihrer Gesamtheit an.
Geschichtsdidaktik
Die Geschichtsdidaktik ist die Kunst des Lernens und des Lehrens innerhalb der Geschichte. Demnach soll Geschichte so vermittelt werden, dass sich ein Geschichtsbewusstsein für das Individuum (individuelles) als auch für die Gesellschaft (kollektives) ergibt. Vorrangig geschieht dies über den Geschichtsunterricht an Schulen, aber auch über Ausstellungen in Museen und über Dokumentationen im Fernsehen.
Die Geschichtsdidaktik ist Teil der Geschichtsdarstellung und grenzt sich als Arbeitsfeld von der eigentlichen Geschichtswissenschaft ab. Dennoch müssen Geschichtswissenschaftler die praktizierte Didaktik der Geschichtsdarstellung bestätigen, hinterfragen, untermauern oder sogar anzweifeln.
Geschichtstheorie
Die Methoden der Geschichtswissenschaft sind nicht unfehlbar und auch die kritische Herangehensweise eines Historikers lässt Fehlinterpretationen zu. Innerhalb der Geschichtstheorie werden erkenntnistheoretische Konzepte (kritischer Rationalismus) diskutiert, um fehlerhafte Methoden der Forschung aufzuspüren und diese zu verbessern.
Geschichtsphilosophie
Die Geschichtsphilosophie geht der Frage nach, welchen tiefergehenden Sinn die Geschichte hat und ob sich gewisse Regelmäßigkeiten im Geschichtsverlauf erkennen lassen. Im Angesicht dieser Fragestellung werden die bestehenden Methoden der Geschichtswissenschaft auf ihre Verhältnismäßigkeit, Genauigkeit und Objektivität untersucht und diskutiert.
Welche Hilfswissenschaften fließen in die Geschichtswissenschaft ein
- Die Archäologie untersucht Quellen unterschiedlicher Art. Anders als herkömmliche Geschichtswissenschaftler untersuchen Archäologen meist keine Schriftquellen, sondern sind Spezialisten für Bauwerke, Werkzeuge, Vasen, Gebrauchsgegenstände oder Leichen.
- Die Archivkunde ist die Bewahrung, Einordnung und Verzeichnung von historischen Material in einem Ordnungssystem, welches die Auffindbarkeit und Informationsbereitstellung gewährleisten soll.
- Die Chronologie ist die Lehre von der zeitlichen Ordnung (Kalendersysteme, Zeitleisten, Datierung).
- Die Diplomatik untersucht die Echtheit und den historischen Wert von Urkunden.
- Die Epigraphik untersucht und analysiert die Inschriften von Gräbern, Vasen, Kleidungsstücken und anderen Gebrauchsgegenständen. Dabei werden die In- und Aufschriften geographisch, nach ihrem Inhalt, nach ihrer Funktion und ihrer Sprache geordnet.
- Die Ethnologie untersucht die kulturellen und sozialen Zusammenhänge von Völkern und schafft Bedeutungszusammenhänge und Theorien über deren Verbreitung, Blütezeit und Untergang.
- Die Filigranologie ist die Lehre von Wasserzeichen, welche auf historischen Zeugnissen (Urkunden) erhalten sind.
- Die Genealogie oder Ahnenforschung analysiert die Verwandtschaftsbeziehungen von Familien, Patenschaften und anderen sozialen Gruppen. In der historischen Forschung werden dann Vorfahren und Nachkommen einer relevanten Person herausgearbeitet und dargestellt.
- Die Heraldik analysiert historische Wappen, deren Entstehung und Veränderung.
- Die historische Anthropologie untersucht, wie sich die Menschheit kulturell entwickelte, welche Einflussgrößen auf soziale Gruppen wirkten und wie sich die Lebenswirklichkeit der Menschheit historisch änderte. Die Alltagsgeschichte wird neben der Mentalitätsgeschichte und der Kulturgeschichte untersucht.
- Die historische Linguistik untersucht die Verbreitung von Sprachen und deren Veränderung aufgrund von Migration oder kulturellen Wandelerscheinungen.
- Die Numismatik bzw. Münzkunde untersucht die historische Bedeutung von Geld, einzelner Münzprägungen (z.B. Herrschergeschlecht) und deren Verbreitung. Durch die Erkenntnisse der Numismatik lassen sich historische Handelsbeziehungen rekonstruieren, aber auch Herrscherdynastien nachvollziehen.
- Die Onomatologie ist die Lehre über die Entstehung von Namen, sei es Ortsnamen, Flussnamen oder Familiennamen.
- Die Paläografie untersucht und beschreibt, wie Schrift oder einzelnen Schriftzeichen entstanden sind und sich während der Geschichte veränderten.
- Die Phaleristik ordnet, untersucht und beschreibt die Entstehung von Orden und Auszeichnungen.
- Die Philologie untersucht die Literatur und sonstigen künstlerisch geschaffenen Textdokumente, welche in einer Sprache entstanden.
- Die Psychohistorie ist eine Vertiefung der Mentalitätsgeschichte, bei der die psychischen Auswirkungen von historischen Erlebnissen (z.B. Kriegen, Hungersnöten) rekonstruiert werden sollen.
- Die Sphragistik bzw. Siegelkunde beschreibt, ordnet und analysiert historische Siegel. Genauso wie bei Wappen und Münzen waren Siegel ein Symbol historischer Herrscherdynastien.
Literatur
- Stefan Haas, Geschichtswissenschaft: Eine Einführung, ISBN: 3825254011*
- Stefan Jordan, Theorien und Methoden der Geschichtswissenschaft (Orientierung Geschichte), ISBN: 3825257606*
- Christoph Cornelißen, Geschichtswissenschaften: Eine Einführung, ISBN: 359614566X*
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