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Denisova-Menschen


Denisova-Menschen – auch als Denisovas oder Denisowas bezeichnet – waren eine Population von Menschen, welche mit dem Neandertaler und dem Jetztmenschen verwandt waren. Aufgrund der genetischen Nähe zu den beiden Menschenarten gelten Denisovas nicht als alleinstehende Art, auch nicht als Unterart – sondern als genetische Variante vom Neandertaler und Jetztmensch.

Zeitlich parallel existierten Denisovas mit dem Jetztmenschen, dem Neandertaler und dem Flores-Menschen (Homo floresiensis).

Besonderes Augenmerk erlangten die Denisova-Menschen im Jahr 2010 als ein Forscherteam herausfand, dass bis zu 6 % aller Gene von den Ureinwohnern Melanesiens mit dem Genom von Denisova-Menschen übereinstimmen.

Steckbrief

Denisova-Mensch
Erstes Auftreten:Pleistozän vor etwa 200.000 Jahren (Altsteinzeit)
Aussterben:Pleistozän vor etwa 30.000 Jahren (Altsteinzeit) oder vor 15.000 Jahren (Umbruch zur Mittelsteinzeit, Holozän)
Lebensraum:Altaigebirge (Sibirien), Hochland von Tibet, Ozeanien
Vorfahren:unbekannt, Homo antecessor wird diskutiert
Nachfahren:keine
Körperliche Merkmale:
Körpergröße:1,60 m bis 1,80 m
Gewicht:60 bis 80 kg
Gehirnvolumen:1600 bis 1750 cm³
Körperbau:robust
Lebensweise:
Nahrung:Pflanzen, Wurzeln, Nüsse, tierische Kost
Lebensweise:Jäger und Sammler
Steinwerkzeuge:ja
Waffen:ja
Feuerbeherrschung:ja
Sprachentwicklung:ungewiss
Besondere Merkmale
robustere und größere Zähne als Neandertaler und Jetztmensch
erste Menschenart, welche höher als 3.000 Meter lebte
Vielleicht neben Homo sapiens die erste Menschenart, welche Australien erreichte
letzte Menschenform ("Art"), welche ausstarb

Was bedeutet Denisova-Mensch

Namensgeber dieser Menschen-Population sind die Denissowa-Höhlen im Altaigebirge in Sibirien (Russland). Denn dort fand man die Überreste dieser archaischen Menschen. Datierungen ergaben, dass die Denisovas vor mehr als 76.000 Jahren in diesem Gebirge lebten.

Wann lebten die Denisova-Menschen

Die Fundstücke der Denissowa-Höhlen konnten auf ein Alter zwischen 76.000 und 52.000 datiert werden. Aber es gab noch Funde in Tibet, welche man ebenfalls den Denisova zuordnen konnte. Und diese waren 160.000 Jahre alt.

Anfang 2019 veröffentlichte die Fachzeitschrift „Nature“ einen Artikel, wonach es einem Forschungsteam gelungen ist, die Fundstücke mittels Thermolumineszenzdatierung neu zu datieren. Ein Backenzahn aus der Denissowa-Höhle in Sibirien konnte auf ein Alter von mindestens 200.000 Jahren datiert werden. Spätere Untersuchungen an Knochen, mittels mtDNA-Analyse, bestätigten ebenfalls ein Alter von 200.000 Jahren.

Der Aussterbezeitpunkt wurde durch die Funde in den Denissowa-Höhlen zunächst auf 52.000 Jahre festgelegt. Doch eine vergleichende Analyse zwischen Denisova-Genom und dem Genom heutige Menschen brachte die Erkenntnis, dass Denisovas noch vor 15.000 Jahren gelebt haben müssen. Und zwar im heutigen Papua-Neuguinea (Inselstaat zum australischer Kontinent gehörend). Denn die Gene der Papua tragen durchschnittlich 4 Prozent des Denisovas-Genom. Mittels Rückrechnung (Mutationsrate) lässt sich der letzte Kontakt zwischen Denisova und Jetztmensch rekonstruieren.

Wer fand die Denisova-Fossilien

Die Denissowa-Höhle in Sibirien war seit den 1970-er Jahren ein Tummelplatz für Archäologen. Man suchte dort nach Fossilien vom modernen Menschen und vom Neandertaler. Doch im Sommer 2008 fanden russische Forscher einen Fingerknochen (Endglied eines Fingers). Das Forschungsteam wurde geleitet von den beiden Archäologen Michail Schunkow und Anatoli Derewjanko.

Der Fingerknochen wurde ans Max-Planck-Institut für evolutionäre Anthropologie nach Leipzig geschickt. Dort sollte mittels DNA-Analyse herausgefunden werden, ob das Fingerglied zum Sapiens oder Neandertaler gehört. Geleitet wurde das Institut von Svante Pääbo, einem schwedischen Anthropologen – welcher als Begründer der Paläogenetik gilt.

Seit 2006 war man in Leipzig mit der Entschlüsselung von Neandertaler-DNA beschäftigt und spezialisierte sich darauf. Da es in Sibirien sehr kalt ist, bleibt DNA dort länger erhalten. Und deshalb arbeitete man mit dem russischen Forschungsteam zusammen, dessen Probe man nun auf den Tisch hatte.

Mit Hilfe von Genanalysen konnte im Institut festgestellt werden, dass der Fingerknochen weder vom Neandertaler noch vom Jetztmensch stammt. Stattdessen stammt der Fingerknochen von einem etwa 7-Jahre alten Mädchen, welche zu keiner bisher bekannten Menschenart gehörte. Dies war eine Sensation. Denn bis dahin glaubte man, dass sich der moderne Mensch vor 50.000 Jahren nur mit dem Neandertaler und dem Flores-Menschen den Planeten teilte.

Mit der Entdeckung des Denisova-Knochens musste die menschliche Urgeschichte neu geschrieben werden. Publiziert wurde die Entdeckung 2010 im Fachmagazin „Nature“.

Wie kamen Denisova-Fossilien nach Tibet

Die Fossilien aus Tibet sind Fragmente eines Unterkiefers mit einem zwei Zähnen. In der Forschung wird das Fossil als Xiahe-Unterkiefer bezeichnet.

Fundort war die Baishiya-Höhle im tibetischen Hochland. Auch diese Höhle war schon immer gut besucht. Denn die Höhle ist für Buddhisten ein heiliger Ort und tibetische Mönche suchten dort Knochen (Drachenknochen), um diese zu zermalmen und daraus traditionelle Medizin herzustellen.

Im Jahr 1980 entdeckte ein unbekannter Mönch den Unterkiefer, empfand ihn wahrscheinlich als zu menschlich und machte daraus keine Medizin. Stattdessen übergab er den Knochen an seinen buddhistischen Führer des Klosters Labrang. Dieser behielt das Fossil auch nicht und übergab das Fundstück der Universität von Lanzhou (China). Dort schlummerte es für die nächsten 30 Jahre.

Erst die Archäologin Dongju Zhang entdeckt die Einzigartigkeit des Fossils und schickt eine E-Mail nach Leipzig. Sie will die DNA des Kiefers entschlüsseln lassen, weshalb das Max Planck Institut in Leipzig zur Mithilfe gebeten wurde.

Daraufhin schicken die Chinesen im Jahr 2016 eine Probe nach Leipzig und herauskam, dass es sich um den Unterkiefer eines Denisovas handelt. Demnach wurde klar, dass die Frühmenschen auch außerhalb Sibiriens lebten.

Wo lebten die Denisovas

Man geht davon aus, dass Denisovas bevorzugt in höher gelegenen Gebieten lebten. Denn die Denissowa-Höhle in Sibirien befindet sich etwa 670 m über dem Meeresspiegel. Und die Drachenknochen-Höhle (Baishiya) in Tibet befindet sich auf 3.280 m Höhe.

Demnach waren die Denisovas an dieses Höhenleben angepasst, mussten robust genug sein, um die Kälte dort zu ertragen. Gleichzeitig stellen die Denisovas den frühesten Beweis dar, dass die Menschheit in über 3000 Meter Höhe leben konnte.

Nachdem 2012 das Denisova-Genom entschlüsselt wurde, machten sich Forscher weltweit auf die Spur nach Denisova-Genen. Man fand sie nördlich von Australien auf der Insel Papua-Neuguinea. Die dort lebende indigene Bevölkerung (Papuas) tragen 4 % von Denisova Genen.

Besonders an dieser Region ist, dass die Bevölkerung dort isoliert in Dörfern lebt. Demnach kam es zu keiner Völkerwanderung und keiner genetischen Vermischung zwischen den Kulturen.

Mittels Speichelproben wurde das Genom der Papua entschlüsselt, um ihre genetische Geschichte zu rekonstruieren. Letztlich fand man heraus, dass die Übereinstimmung zwischen Denisova-Genen und den Genen des modernen Menschen bei den Papua am höchsten ist.

Weiterhin fand man heraus, dass die Übereinstimmung am stärksten bei den Bergvölkern Neuguineas auftrat. Denn dort ist die Übereinstimmung deutlich höher als gegenüber den Talbewohnern Neuguineas.

Forscher gehen davon aus, dass sich Denisovas noch vor 30.000 bis vor 15.000 Jahren auf Papua-Neuguinea lebten und dort mit dem heutigen Menschen paarten.

2021 fand man heraus, dass die Negrito-Volksgruppe auf den Philippinen einen noch höheren Anteil an Denisova-Genen besitzt als die Papua auf Neuguinea.

Wie konnten sich Denisovas über das Meer ausbreiten

Vor etwa 50.000 Jahren war es deutlich kälter. Und während der Eiszeiten sank der Meeresspiegel um etwa 100 Meter. Das hatte Auswirkungen auf die Geografie. So war Australien mit Neuguinea verbunden und bildete den Kontinent Sahul bzw. Meganesien. Weiterhin gab es die Inseln in Südostasien noch nicht. Denn Borneo, Sumatra und Java gehörten zur Landmasse Sunda.

Zwischen Sunda und Sahul gab es verschiedene Meeresarme mit etwa 100 km Breite. Man geht davon aus, dass Denisovas und Jetztmenschen mit Flößen die Ozeanabschnitte überquert haben.

Bis zur Entdeckung der Denisova-Gene im Papua-Genom ging man davon aus, dass der Jetztmensch die erste Menschenart war – welche Australien erreichte. Dies könnte sich durch neuere Erkenntnisse in der Forschung ändern.

Warum konnten sich Denisova und Jetztmenschen paaren

Wenn sich heutzutage ein Neandertaler und ein Jetztmensch paaren würden, passiert nichts. Es entsteht kein Kind, weil beide Menschenarten einen zu großen genetischen Graben haben. Sie sind einfach nicht kompatibel bzw. ihre Chromosomen weisen zu viele Unterschiede auf. Das Gleiche würde passieren, wenn sich ein Sapiens-Weibchen in einen Denisova-Mann verlieben würde. Sie würden kinderlos bleiben.

Aber das war nicht immer so. Der genetische Abstand verändert sich nämlich von Generation zu Generation. Denn die Chromosomen unterliegen einer Mutation. Und Forscher können Mutationsraten für Gene bzw. Chromosomen berechnen und somit können sie auch zurückrechnen, wann beide Menschenarten noch kompatibel waren. Jene Kompatibilität bestand irgendwann einmal zwischen jeder Art. Je länger der letzte gemeinsame Vorfahre zwischen zwei Arten zurückliegt, desto länger liegt auch die Fruchtbarkeitskompatibilität zurück.

Analysen und Rückrechnungen haben ergeben, dass sich Jetztmenschen, Denisovas und Neandertaler vor sich etwa 50.000 Jahren noch paaren konnten. Der Nachwuchs war zu diesem Zeitpunkt noch zeugungsfähig. Zwischen Denisova und Jetztmensch liegt der letzte gemeinsame zeugungsfähige Vorfahre etwa 15.000 Jahre zurück, was die Genanalysen auf Papua-Neuguinea ergaben.

Einige Generationen später, waren die Chromosomensätze der verschiedenen Menschentypen nicht mehr so kompatibel. Zwar gab es noch Nachwuchs, aber dieser konnte selbst keine fortpflanzungsfähige Keimzellen (Spermien, Eizellen) erzeugen. Denn fortan waren es Hybride, welche unfruchtbar waren – genauso wie heute Pferd-Esel-Hybride (Maultier, Maulesel).

Weitere Generationen später war der genetischen Graben so weit auseinander gedriftet, dass selbst Nachwuchs zwischen Jetztmensch, Denisova und Neandertaler nicht mehr möglich war.

Was sind Denisova Gene

Die Forschung versuchte herauszufinden, welchen Einfluss die Denisova-Gene auf den menschlichen Organismus haben und was sie bewirken.

Eine Untersuchung des Genoms bei Tibeter und der Vergleich mit dem Denisova-Genom brachte einen Treffer. So soll die Variante des Gens EPAS1 für die Höhenanpassung der Denisovas und heutiger Tibeter verantwortlich sein. Ganz konkret bewirkt das Gen, dass die Träger dieser Genvariante in Höhenlagen leichter Atmen können.

Bei den Papuas hat man zwei Eigenschaften festgestellt, welche von den Denisova-Genen stammen sollen: eine bessere Immunabwehr und eine besseren Stoffwechsel.

Wer waren Vorfahren der Denisovas

Bei der Analyse der Denisova-Gene stellte man fest, dass etwa 0,5 bis 8 % ihrer Gene von noch einer anderen Menschenart bzw. Population stammen. Diese unbekannte Population muss sich vor rund 1 Mio. Jahren von den Vorfahren des Jetztmenschen, der Neandertaler und der Denisova abgespalten haben.

Verblüffend war, dass man diesen unbekannten genetischen Vorfahren in Spanien fand. Denn bei einem Oberschenkelknochen eines spanischen Homo heidelbergensis war es gelungen, die mitochondriale DNA (mtDNA) zu sequenzieren. Und diese wies hohe Gemeinsamkeiten zur mtDNA der Denisovas auf. Das Fossil war etwa 400.000 Jahre alt und mit dieser Erkenntnis wurde die Urgeschichte wieder neu sortiert.

Wohlmöglich gab es einen Vorfahren des Heidelbergmenschen, welcher weitere 300.000 Jahren zuvor in Spanien lebte. Und dieser könnte der mögliche Vorfahre der Heidelbergmensch-Neandertaler-Linie und der Denisova-Linie sein. Als möglicher Kandidat wird Homo antecessor erwähnt.