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Die 5 Betrachtungsebenen der Geschichte


Geschichte bzw. die historische Darstellung bedient sich 5 verschiedener Betrachtungsebenen:

Demnach ist Geschichte keine exakte Wissenschaft. Laut dem US-amerikanischen Historiker Gordon A. Graig ist die Geschichte eine humanistische Disziplin, welche den Menschen in den Mittelpunkt stellt. Demnach betrachtet die Geschichte nicht historische Ereignisse, sondern die Menschen und Lebensumstände dahinter.

Es werden die Ursachen, die Gründe für das Aufkommen des geschichtlichen Tatbestandes im Menschen und seinem Verhalten gesucht. Daraus lassen sich Rückschlüsse für zukünftige Ereignisse ziehen. Gleichzeitig bietet uns Geschichte ein Verständnis für die Gegenwart. Um dies leisten zu können, muss der Geschichtsbegriff von 5 Ebenen aus betrachtet werden.

Die wissenschaftliche Betrachtungsebene der Geschichte

Geschichte ist das Ergebnis wissenschaftlicher Forschung. Dabei werden die historischen Zusammenhänge einem Publikum präsentiert, wie man es in Geschichtsbüchern findet. Die Kunst des Autors bzw. Historikers besteht darin, diese Zusammenhänge so zu präsentieren, dass ein Geschichtsbewusstsein beim Leser entsteht.

Grundlage dieser geschichtswissenschaftlichen Darstellung sind Geschichtsquellen, wie Bilder, Urkunden, Artefakte oder Gesetzestexte. Diese werden hinsichtlich ihres Ursprunges und ihrer Stichhaltigkeit geprüft, um falsche Schlussfolgerungen auszuschließen. Dann greifen wissenschaftstheoretische Methoden, um eine Theorie über die Vergangenheit aufstellen zu können und diese zu verteidigen.

Folgende Anforderungen werden an die wissenschaftliche Betrachtung gestellt:

  • Interne Konsistenz bzw. widerspruchsfrei: Die Quelle muss widerspruchsfrei sein. Das bedeutet, dass diese in ein Geschichtsmodell bzw. historischen Abschnitt inhaltlich so hineinpasst, dass keine Widersprüche entstehen können.
  • Überprüfbarkeit: Diese Quelle muss überprüfbar sein. Das bedeutet, dass der zeitliche Ursprung, die Umstände ihrer Entstehung und der Ort bekannt sein müssen, um die Quelle als stichhaltig zu klassifizieren.

Bei dieser wissenschaftlichen Arbeit bemühen sich Historiker darum, die historischen Handlungen in einen übergeordneten Zusammenhang zu setzen. Denn nur dadurch kann ein Geschichtsbild entworfen werden, welches beim zukünftigen Leser ein nachvollziehbares Geschichtsbewusstsein schafft.

Was heißt das?
Dieses Bewusstsein bewirkt dann, dass beim Leser ein Bild der Vergangenheit und deren Auswirkungen auf die derzeitige Zeit entsteht. Ganz einfach ausgedrückt, bedeutet dies… Wir leben heute so, weil diese historischen Ereignisse dazu geführt haben. Und als Geschichtsbild versteht man dann die Summe aller geschichtlichen Vorstellungen eines Menschen. Somit kann dieses Bildnis erst entstehen, wenn Geschichtsbewusstsein vorhanden ist.

Sind Quellen von Widersprüchen behaftet, passen diese nicht zu einer bereits bestehenden Theorie über die Vergangenheit. Dann lässt sich dieses Geschichtsbewusstsein nicht schaffen oder weist in ihren Einzelheiten gewisse Widersprüche auf. Dies führt dann dazu, dass das Geschichtsbild als Summe aller Vorstellungen über die Vergangenheit ebenfalls nicht stimmig sein kann.

Ist der Ursprung einer Quelle unklar oder es können die Umstände ihrer Entstehung nicht herangezogen werden, kann diese Quelle nicht als Beleg der Geschichte dienen. Denn dann kann diese ebenfalls nicht in eine Theorie über die Vergangenheit einfließen, da dies zu einem fehlerhaften Geschichtsbewusstsein und mangelnden Geschichtsbild führt.

Für diese wissenschaftliche Analyse der Geschichtsquellen und deren späterer Darstellung bedient sich die Geschichtswissenschaft einiger Hilfsmittel:

  • Periodisierung: Einteilung in verschiedene Zeitalter bzw. Epochen.
  • Chronologie: Lehre von der Zeit und Abfolge von historischen Ereignissen

Der Erkenntnisgewinn dieser wissenschaftlichen Untersuchungen und deren späteren Darstellungen sind allerdings nicht empirisch. Das bedeutet, dass dieser sich nicht auf Statistiken oder mathematischen Berechnungen stützt. Der Blick in die menschliche Vergangenheit ist demnach eher ableitend (Theorie ableitend) als aufstellend (Theorie aufstellen).

Demnach bedient sich die wissenschaftliche Betrachtung der Menschheitsgeschichte eher geisteswissenschaftlicher Methoden. Dazu zählen die Hermeneutik (Lehre von Interpretation und Verstehen) oder die Erkenntnistheorie (Lehre vom Zustandekommen von Wissen und Überzeugung).

Die Begrifflichkeit von Geschichte besitzt allerdings mehrere Bedeutungsebenen. So gibt es die Menschheitsgeschichte, vom Auftreten des Menschen bis heute. Weiterhin gibt es die Erdgeschichte oder eine biologische Geschichte über die Entstehung der Arten. Die Erforschung der Natur wird hauptsächlich durch Naturwissenschaften betrieben.

Die konstruierende Betrachtungsebene der Geschichte

Nachdem ein Bild von der Vergangenheit durch die wissenschaftliche Betrachtung entworfen wurde, muss dieses diskutiert werden. Denn in der Geschichtswissenschaft stellt sich die Frage, ob diese Konstruktion überhaupt der Wirklichkeit entsprach.

Denn eine Quelle, sei sie auch noch so stichhaltig und unverfälscht, kann die Vergangenheit nicht komplett abbilden. Auch viele Quellen, welche allesamt auf das selbe geschichtliche Ereignis hindeuten, können niemals die ganze Wirklichkeit abbilden. Zudem sind die Interpretation und das Geschick des Historikers gefragt, welcher die Quelle auswertet und in Zusammenhang mit einem geschichtlichen Ereignis setzt. Somit wird deutlich, dass historische Situationen niemals komplett dargestellt werden können. Der Anspruch auf Gesamtheit und Totalität ist dadurch niemals gegeben.

Im 19. Jahrhundert bemühten sich Geschichtswissenschaftler hauptsächlich darum, bestehende Quellen in Einklang zu bringen. Man wollte gegensätzliche Aussagen weitestgehend harmonisieren. Dies führte allerdings dazu, dass Widersprüche überbrückt werden, indem Historiker etwas hinzudeuten oder dazu interpretieren, was wohlmöglich nicht der Wirklichkeit entsprach.

Dies dient der Aufrechthaltung eines existierenden Geschichtsbewusstseins und eines bestehenden Geschichtsbildes. Allerdings steht diese Haltung in einem starken Gegensatz zur wissenschaftlichen Betrachtungsebene. Denn durch diese Überbrückung wird auch immer der Erkenntnisgewinn ausgeschalten.

Der Unterschied zwischen beiden Ebenen besteht demnach:

  • Die wissenschaftliche Ebene versucht neue Erkenntnisse, durch Quellen zu gewinnen und diese durch wissenschaftliche Methoden einzuordnen. Oberste Prämisse sind dabei Widerspruchsfreiheit und Überprüfbarkeit.
  • Die konstruierende Ebene versuchte im 19. Jhd. eine Konstruktion zu schaffen, welche verschiedene Quellen zu einem geschichtlichen Ereignis verbindet und so ein Bewusstsein zu schaffen. Widersprüche wurden überbrückt, indem man Quellen harmonisierte. Dies wiederum steht im Widerspruch zur Überprüfbarkeit und internen Konsistenz.

Heutzutage findet sich die Geschichtswissenschaft damit ab, dass sie nicht die ganze Wirklichkeit abbilden kann. Ihr Grundansatz, nämlich Gesamtheit und Totalität zu schaffen, wurde damit überworfen. Stattdessen gilt das bestehende Verständnis von einem historischen Zusammenhang solange gesichert, bis eine neue und widersprüchliche Quellenlage vorliegt.

Einige historische Ereignisse gelten deshalb als nicht rekonstruierbar. So zum Beispiel die Krönung Karls des Großen. Hierzu existieren vier Berichte, welche allesamt als historisch gesichert gelten, jedoch in ihrer Darstellung derart abweichen, dass keine gesamtheitliche Rekonstruktion des Ereignisses erfolgen kann.

Sprachliche Betrachtungsebene der Geschichte

Historische Quellen sind oftmals Schriftstücke wie Gesetzestexte, Analen, Chroniken oder Urkunden. Sie liegen demnach schriftlich vor. Diese Quellen haben den Vorteil, dass sie ein großes Spektrum für den Erkenntnisgewinn bereitstellen.

Gleichzeitig bestehen auch gewisse Nachteile. Denn viele Begriffe sind aus dem Sprachgebrauch verschwunden oder deren Bedeutung wurde im Laufe der Geschichte abgeändert. Dadurch kommt immer wieder der Versuch auf, die wissenschaftliche (Überprüfbarkeit, Widerspruchfreiheit) Ebene zu verlassen und sich der konstruierenden Ebene zu bedienen.

Das heißt dann, dass die Rekonstruktion der geschichtlichen Ereignisse nicht ohne konstruierende Anteile auskommen kann. Denn erst durch Begriffe und Benennung entsteht geistige Ordnung. Sprache macht sichtbar, begreifbar, vorstellbar und lässt Zusammenhänge erkennen.

Gleichzeitig ist Sprache nicht unfehlbar und oftmals ungenau. Denn sobald ein Begriff verschwindet, lässt sich dieser nur ungenau rekonstruieren und lässt Spielraum für Interpretationen. Daher werden manche Begrifflichkeiten erst aus dem Zusammenhang klarer, erreichen allerdings niemals ihre vollständige Klarheit und können somit niemals als absolut angenommen werden.

Einige Begriffe sind in unsere Gegenwart zudem anders belegt als im historischen Kontext. Ein Beispiel ist das Wort „Sklaverei“, welches heutzutage als unmoralisch, widerwärtig und zwingend überwindbar gilt. In der historischen Betrachtung bis ins 17. Jhd. war Sklaverei als Gesellschaftsform völlig legitim, bot enorme Vorteile und musste nicht überwunden werden.

Geschichte ist demnach ein Produkt, welches Historiker und auch alle anderen zurückdenkenden Menschen schaffen und an welches sich jeder Einzelne besinnen kann. Dies ist allerdings nur möglich, wenn es Menschen gibt – welche sich besinnen können und wollen. Gleichzeitig unterliegt diese Besinnung einer Restriktion aufgrund der Sprache.

Künstlerische Betrachtungsebene der Geschichte

Historiker werden – je nach Betrachtungsweise – auch als Künstler gesehen. Denn die Aufbereitung und die Darstellung des Geschehenen ist, trotz aller wissenschaftlichen Belange, ein kreativer Akt.

Aus einer psychologischen Perspektive heraus spricht man vom schöpferischen Denken, da zwei Rohstoffe (Ereignis und verweisende Quelle) kombiniert werden und daraus ein darstellender Text des Ereignisses entsteht. Demnach sind Historiker immer auch Produzenten und da das Ergebnis einen größeren Mehrwert besitzt, als dessen Ausgangsstoffe – gilt dieser Akt als schöpferisch oder künstlerisch.

Aber auch historische Bilder und Literatur bieten eine Auseinandersetzung mit der Geschichte. So sind Dramen wie Homers Ilias, Schillers Wallenstein oder Da Vincis Ölgemälde eine Darstellung der Geschichte.

Diese Werke dienten allerdings nicht dem Erkenntnisgewinn. Stattdessen sollten geschichtliche Ereignisse verarbeitet werden, um Kultur zu schaffen. Aber durch die geschichtliche Rückbetrachtung dieser Kultur erhöht sich deren Mehrwert und gewinnt an Bedeutung.

Geschichte und Kunstkultur stehen somit in einem unmittelbaren Zusammenhang. Die Kunst fördert die Geschichte und gleichzeitig gewinnt die Kultur erst durch die Geschichte an Bedeutung.

Politische Betrachtungsebene der Geschichte

Geschichtspolitik dient vor allem dem Vermitteln von Werten. Dabei soll Einfluss auf die allgemeine Meinungsbildung genommen werden und so ein Bewusstsein der Mahnung oder des Stolzes entworfen werden.

Abhängig vom politischen System eines Staates oder einer Institution hat diese Ebene einen gewissen Einfluss auf Geschichtsdidaktik (Kunst des Lehrens) und Geschichtspädagogik (Erziehung).

Gewisse Begrifflichkeiten werden – je nach Gesellschaftssystem – untersagt, verboten oder negativ belegt. Oder es kommt zu einer intensiven Aufklärung über bestimmte Zeitepochen, deren Bewältigung und Überwindung. Dies kann sich unterschiedlich äußern. So kann im Geschichtsunterricht die Hingabe zu einem Thema besonders stark ausfallen, um die Kinder gesellschaftlich zu erziehen.

Im Rahmen der geschichtlichen Aufarbeitung des NS-Regimes wird Geschichtspädagogik in Deutschland besonders stark betrieben. So werden die Gräueltaten des Dritten Reiches beschrieben, die Unterdrückung der Bevölkerung in dieser Zeit anschaulich dargestellt, die Kriegsverbrechen herausgestellt und der Holocaust beschrieben.

Außerdem werden Gedenkstätten unterhalten und in Museen findet eine zielgerichtete Pädagogik statt. Zahlreiche Dokumentationen zu dieser Epoche werden im öffentlich-rechtlichen Fernsehen ausgestrahlt. All das dient der Abschreckung und Mahnung.

Geschichte dient demnach nicht nur der Konstruktion einer Vergangenheit, sondern trifft auch Vorkehrungen für die Zukunft. Denn ein politisches System, wie die NS-Diktatur, wurde überwunden, abgeschafft und deren Gedankengut sollte im demokratischen Dialog nie wieder stattfinden. Um dies zu erreichen, müssen Werte vermittelt und zugleich eine Abschreckungspädagogik betrieben werden.


Literatur


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