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Tyrannis und Gewaltherrschaft im antiken Griechenland


Die Tyrannis war im antiken Griechenland eine Herrschaftsform, bei welcher ein Einzelner uneingeschränkte Macht innehatte. Der Herrscher innerhalb einer Tyrannis wird als Tyrann bezeichnet. Gestützt wurde dessen Macht auf die breite Volksmasse (Demos) oder auf Söldnertruppen. Doch nicht jeder Tyrann war ein Gewaltherrscher.

Was bedeutet Tyrann übersetzt

Das griechische Wort „tyrannos“ hatte wohlmöglich lydische Wurzeln. Im antiken Griechenland tauchte es erstmalig im 7. Jahrhundert v.Chr. auf. Entlehnt ist der Begriff vermutlich vom Königstitel der Hethiter, welcher als tarwanis auftaucht. Aber tarwanis bedeutete nicht nur König, sondern auch Richter, Diener oder der Gerechte.

Im Königreich Lydien wurde um 685/680 v. Chr. der damalige König Kandaules von seinem Diener Gyges getötet. Nach dem Königsmord gründete Gyges die Mermnaden-Dynastien. Während seiner Regierungszeit erreicht Lydien seine größte Machtentfaltung. Der Titel mit dem Gyges angesprochen wurde, war tarwanis. Daher kann der Titel sowohl König, Richter, Diener oder eben der Gerechte bedeuten.

Die Griechen überführten den lydischen Begriff ins Griechische. Fortan wurde jeder Alleinherrscher als tyrannos bezeichnet. Die entsprechende Regierungs- oder Herrschaftsform zum Amt war die Tyrannis.

Waren alle Tyrannen zugleich Mörder und Gewaltherrscher

Im Altertum war die Vorstellung eines schlechten oder bösartigen Tyrannen grundsätzlich nicht vorhanden. Diese entstand erst im 6. Jahrhundert v.Chr. nachdem Athen demokratisch wurde.

Die Demokratie als Volksherrschaft oder Herrschaft aller Bürger ist das Gegenstück zur Tyrannis (Herrschaft des Einzelnen). Demnach begann die grundsätzliche Erzählung über böse Tyrannen erst mit der Demokratisierung Athens.

Die Athener vertrieben im Jahr 510 v.Chr. den Tyrannen Hippias. Nach der Demokratisierung Athens wurde das Narrativ des bösen Tyrannen auch durch die politische Philosophie vorangetrieben. Vordenker oder auch Begründer waren Platon und Aristoteles. Folgt man dieser Erzählung war die Tyrannis eine Entartung einer guten Alleinherrschaft. Doch tatsächlich haben einige Tyrannen das Entstehen der Polis befeuert.

In späteren Jahrhunderten wurde die Tyrannis als Regierungsform gänzlich abgelehnt. Die Griechen versuchten in jedem Stadtstaat tyrannische Strukturen zurückzudrängen. Denn diese Herrschaftsform war, laut dem griechischen Verständnis, unrechtmäßig und überholt.

Demnach war ein Tyrann oder Alleinherrscher auch immer ein unrechtmäßiger Anführer. Denn in einer Demokratie mit Wahlen könnte kein Tyrann entstehen, so dass die Tyrannis immer auf gewaltsamen Weg zustande gekommen sein muss. Aber diese Erzählung war lediglich eine politische, um die Demokratie über die Tyrannis zu erheben.

Wie wurde im antiken Griechenland zum Tyrannen

Um Alleinherrscher sein zu können, braucht es eine Gefolgschaft. Selbst wenn sich ein Tyrann gewaltsam auf den Thron stürzt, brauchte er Soldaten – welche ihm folgten und dies ermöglichten. Demnach musste jeder Tyrann zuvor ein Aristokrat sein.

Wieso Aristokrat?
Für das Entstehen der Polis bzw. stadtstaatlichen Strukturen waren Aristokraten von besonderer Bedeutung. Die Aristokratie (deutsch: Bestherrschaft) war laut Aristoteles die Herrschaft der Besten.

In der griechischen Antike wurde die Aristokraten-Stellung durch besondere Erfolge erreicht. Anders als Adelstitel in späteren Zeiten musste man sich diesen Status verdienen. Herkunft und Abstammung spielten keine Rolle. So waren Aristokraten entweder in der Führung einer Polis besonders gut. Oder sie glänzten beim sportlichen Wettkampf oder auf dem Schlachtfeld.

Der Wahlspruch der Aristokraten lautete: „Immer der erste sein und die anderen überragen“ (Homer, Ilias 6, 208). Aufgrund ihrer Errungenschaften genossen die Aristokraten einen aufwendigen Lebensstil, hatten eine höhere soziale Stellung und Mitspracherechte bei der Führung einer Polis. Sie unterhielten Beziehungen zu anderen Aristokraten in anderen Polis.

Um ihre Interessen zu wahren oder voranzubringen, förderten Aristokraten die Entstehung stadtstaatlicher Strukturen – wie der Volksversammlung, Räte und Ämter. Dort fand die öffentliche Meinung ein Gehör, wurde diskutiert und es wurden entsprechende Maßnahmen beschlossen. Diese Vorgehensweise war im Sinne aller Aristokraten.

Die Tyrannis entstand immer dann, wenn die Konflikte zwischen den Aristokraten unüberwindbar wurden. Dann steigerte irgendein Aristokrat seine Macht derart, dass er sich zum Alleinherrscher erhob. Das Vorbild solcher grenzenlosen Machtentfaltungen kannten die Griechen bei den Hochkulturen im Osten. In Lydien (Kleinasien) erhoben sich Könige und Herrscher. Diese nannten sich selbst tarwanis.

Und das kleinasiatische Vorbild nutzen einige Aristokraten, um ihre Machtinteressen aber auch die Interessen ihrer Polis durchzusetzen. Mitunter wurde die Macht militärisch erlangt, oftmals allerdings politisch. Denn die Aristokraten hatten alle politischen Ressourcen, konnten Meinungen hinter sich bringen und Debatten anführen.

Welche Formen der Tyrannis gab es

In der Geschichte des antiken Griechenlands gab es zwei Zeitalter der Tyrannis, weshalb man von einer älteren und einer jüngeren spricht.

Die ältere Tyrannis

Die ältere Tyrannis war die Aristokratenherrschaft, welche oben beschrieben wurde. Diese Herrschaftsform bestand im 7. und 6. Jahrhundert v.Chr. und bereitete die Demokratie des 5. Jahrhunderts vor. Während diesen Herrschaftszeiten erblühten die griechischen Stadtstaaten kulturell und wirtschaftlich.

Die jüngere Tyrannis

Die jüngere Tyrannis breitete sich im 4. und 3. Jahrhundert v. Chr. in den griechischen Stadtstaaten aus. Sie ersetzte in weiten Teilen die demokratischen Strukturen der Polis. Anders als die ältere Tyrannis wurde die jüngere nicht von den breiten Bevölkerung mitgetragen, sondern durch Militär erzwungen.

Was ist der Unterschied zwischen Tyrannis, Diktatur und Monarchie

Sowohl die Tyrannis, als auch die Monarchie oder die Diktatur setzen auf einen Alleinherrscher. Die ältere Tyrannis war eine Aristokratenherrschaft, welcher einer Monarchie nahekommt. Der Herrschaftsanspruch war erblich und ging vom Vater auf den Sohn über. Doch anders als die Monarchie wurde die Tyrannis meistens politisch erwirkt. Demnach wäre die Tyrannis eine besondere Form der Monarchie oder wie es Aristoteles formulierte: Die Tyrannis ist eine entartete Monarchie.

Eine Diktatur ist eine dritte Form der Alleinherrschaft. Anders als die Monarchie oder die ältere Tyrannis wird diese Herrschaftsform nur dadurch erhalten, dass das Volk unterdrückt wird. In früheren Monarchien waren die meisten Bevölkerungsschichten mit ihrem König zufrieden und wollten auch in keiner anderen Gesellschaftsform leben. Während der älteren Tyrannis war dies ebenso.

Doch in einer Diktatur kann die Bevölkerung nicht anders leben, da der Diktator die gesellschaftlichen Regeln vorgibt (diktiert). Demnach waren die Gesellschaftsformen der jüngere Tyrannis, welche durch Militärgewalt erzielt und erhalten worden, eine Diktatur (Militärdiktatur).

Welche Tyrannen gab es in der Geschichte des antiken Griechenlands

In der Geschichte des antiken Griechenlands gab es jede Menge Tyrannen. Die einzige bedeutende Polis, in welcher nie die Tyrannis zur Herrschaftsform erhoben wurde, war Sparta. Im folgenden sollen drei berühmte Tyrannen vorgestellt werden.

Peisistratos

Peisistratos ergriff 546 v. Chr. die Macht in Athen. Die Machtergreifung erfolgte durch einen Staatsstreich, welcher mit brutaler Gewalt erfolgte. Nach seiner Machtergreifung regierte Peisistratos die Polis bis zu seinem Tode (527 v.Chr.). Die Regierungszeit von Peisistratos und seinen Söhnen wird als Peisistratiden-Tyrannis von Athen bezeichnet.

Zwar kam Peisistratos durch Gewalt an die Macht, aber er errichtete keine Gewaltherrschaft und keinen Terrorstaat. Stattdessen beachtete er die bestehenden Gesetze. Er arrangierte sich mit den aristokratischen Familien und half sogar armen Bauern. Zudem ließ er in Athen prachtvolle Bauten errichten, führte Feiertage, Kulte und religiöse Feste ein.

Durch die Peisistratiden-Tyrannis erlebten die Bewohner Athens einen kulturellen Aufschwung und erreichten ein neues Zusammengehörigkeitsgefühl.

Dionysios II.

Dionysios II. regierte bis 357 v.Chr. die Polis Syrakus. Diese befindet sich auf Sizilien, welches damals von den Griechen besiedelt wurde. In der Literatur widmete Friedrich Schiller dem Dionys einen Vers in der Ballade „Die Bürgschaft“. Dort schreibt er:

„Zu Dionys dem Tyrannen schlich Damon, den Dolch im Gewande“

Dionysios II. war Sohn von Dionysios I., ebenfalls Tyrann von Syrakus. Mit dem Tod des Vaters errang Dionysios der Jüngere die alleinige Macht in Syrakus, bekam aber seinen Onkel Dion an die Seite gestellt. Da der junge Tyrann einen ausschweifenden Lebensstil pflegte, lud Dion seinen Lehrer Platon nach Syrakus ein. Gemeinsam wollten sie Reformen anstoßen. Jedoch verbannte Dionysios seinen Onkel und wurde ab 366 v.Chr. zum absoluten Alleinherrscher.

Onkel Dion lebte derweilen in Athen und sein Vermögen aus Syrakus ermöglichte ihm ein gutes Leben. Doch Dionysios strich das Vermögen ein und verheiratete die Frau seines Onkels neu. Daraufhin war Dion gezwungen zu handeln. Er organisierte ein Heer und zog gegen seinen Neffen. Zurück in Syrakus feierten ihn die Einheimischen als Befreier. Schließlich vertrieb Dion seinen tyrannischen Neffen, welcher dann in Locri unterkam.

Wenig später wurde Dion von Dionysios Generälen getötet. Und Dionysios schwang sich derweilen zum Tyrannen von Locri auf. Mit einem Heer zog er gegen Syrakus. Doch die Syrakusaner schlossen sich mit Nachbargemeinden zusammen und wehrten den Angriff von Dionysios ab.

Während seiner Abwesenheit wurden die Frau und die Töchter von Dionysios in Locri ermordet. Der Tyrann konnte demnach auch nicht nach Locri zurückkehren und kam in Korinth unter. Dort starb er 343 v.Chr. (oder 337 v.Chr.) unter elenden Bedingungen.

Hipparchos

Der oben beschriebene Peisistratos, Begründer der Peisistratiden-Tyrannis in Athen, hatte zwei Söhne. Diese hießen Hipparchos und Hippias. Und oftmals war es so, dass die Tyrannis nicht drei Generationen anhielt. Es war demnach eine sehr kurzlebige Herrschaftsform. Die zweite Generation versaute, was die erste Generation aufgebaut hatte. Und so war es auch bei Hipparchos und Hippias.

Hipparchos regierte Athen ab 527 v.Chr. und bis zu seinem Tode (514 v.Chr.). Außerordentlich berühmt wurde er deshalb, weil er ermordet wurde. Der bei Schillers Bürgschaft angedeutete Tyrannenmord wurde nach dem Tod des Hipparchos förmlich kultiviert. Die Philosophen forderten, dass jeder Bürger das moralische Recht und die politische Pflicht habe, einen Gewaltherrscher zu ermorden.

Ermordet wurde Hipparchos von Harmodius und Aristogeiton. Die zwei Tyrannenmörder wurden später als Statuen verewigt. Doch der Anschlag sollte auch den zweiten Bruder treffen, welcher aber davonkam. Dennoch wurde 510 v.Chr. – also vier Jahre später – auch Hippias vertrieben. Der Mordanschlag auf Hipparchos gilt als Geburtsstunde der athenischen Demokratie.

Warum scheiterte die Tyrannis

Die Aristokraten der älteren Tyrannis wurden von der breiten Volksmasse gestützt. Demnach war ihre Herrschaft vom Volke gewollt. Doch diese Herrscher begründeten eine Dynastie, wonach der Titel oder das Amt auf den Sohn übergehen sollte. Und diese Söhne waren der Aufgabe nicht gewachsen, weshalb die Tyrannis oftmals nur wenige Generationen überdauerte.

Warum bereitete die Tyrannis die Demokratie vor

Da die Macht von Tyrannen der älteren Tyrannis von der Bevölkerung gestützt wurde, war die Alleinherrschaft bereits durch das Volk legitimiert. Trotz des Versagens nachfolgenden Herrschergenerationen, blieb der Wunsch des Volkes nach Mitbestimmung vorhanden. Aus dem Gedankengut konnte die Demokratie erwachen. Die berühmteste Regierungsform der Antike hatte wohlmöglich Athen, als sie im 5. Jahrhundert v. Chr. die attische Demokratie einführten.